40 TAGE IN DER WÜSTE – ein Alltags-Ritt!

Wie konsumkrank jeder Einzelne von uns wirklich ist, werden wir erst feststellen, wenn wir einen kompletten Tag einer genauen Prüfung unterziehen. Vom Aufstehen über die Arbeitsvorbereitung bis hin zur Arbeit selbst, dem bevorstehenden Feierabend und der Freizeitgestaltung, werden wir einen Otto-Normal-Verbraucher begleiten, der uns durch sein Verhalten und seine Aktionen wertvolle Aufschlüsse über sein und damit unser eigenes Verhalten und Umgebung liefern wird.

Am Beispiel Wolfgang, 40 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, wollen wir einmal einen ganz normalen Tag skizzieren. Schon Jesus machte in seinen 40 Tagen in der Wüste darauf aufmerksam, dass ihn der Teufel versuche. Er trotzte ihm standhaft und will uns damit sagen, dass der Teufel in unserer Welt in ganz anderen Fassaden und Aufzügen Einzug hält. Was gemeint ist, ist die Verführung und die Versuchung allerorten, die uns anheim suchen kann und der wir schwache Menschen nur allzu häufig erliegen. Mit diesem Wissen ausgestattet, werden wir zu Sklaven von Marketing, Profitsucht und Suggestion, und haben naturgemäß die größte Mühe, eine klare Linie in unserem Leben einzuschlagen und zu halten.

Der Wecker klingelt um sechs Uhr morgens, denn die Frau ist bereits seit fünf Uhr auf den Beinen. Sie hat vier Mal die Woche Frühschicht im Krankenhaus. Für die schulpflichtigen Kinder ist bereits alles hergerichtet und so muss Wolfgang nur darauf aufpassen, dass die Kinder sich vernünftig anziehen und auch etwas frühstücken. Die Kinderklamotten, die heute angezogen werden, sind ausnahmslos in Bangladesh gefertigt. Die Mutter hatte beim Kauf (vor lauter Zeitnot und auch immer akutem Geldmangel) nicht auf das Herstellerland geachtet… Zum Frühstück gibt es Cerealien, versetzt mit Zucker – dann essen es die Kinder gerne. Für die Brotzeit in der Schule werden ein Riegel mit Schokoüberzug (der Kakao dafür kommt aus Zentralafrika – dort herrscht ein reger Kinderhandel bezüglich der Plantagenarbeit), ein Bodenseeapfel (sorgfältig und massenhaft gegen Schädlinge gespritzt – bitte gut waschen!), eine Scheibe Brot (mit Backtriebmitteln versetzt) und für die Tochter Pfefferbeißer (das Fleisch dazu stammte von in Massenhaltung gehaltenen Schweinen und wird unter Zusatz von Füllstoffen, versetzt mit Knochenmehl, verarbeitet). Der Vater selbst trinkt zwei Humpen Kaffee (der Lohn für die südamerikanischen und afrikanischen Kaffeebauern reicht kaum aus und so wird immer mehr Opium in den Herkunftsländern angebaut – fairer Kaffee ist zu teuer!), verzichtet vor lauter Vorbereitungsstress auf sein Frühstück und checkt schon einmal am PC einige Mails, bringt nebenbei seine Spesenabrechung in Ordnung und plant seinen Arbeitstag. Bevor er das Haus verlässt, wäscht er sich noch die Haare. Seit Neuestem werden viele Kosmetikprodukte mit Nanoplastikteilchen versetzt, was dem gesamten Produkt etwas mehr Stabilität verleiht… – natürlich alles in Plastikgebinden…

Und schon geht’s mit dem Firmenwagen los auf die Straße. Der Wagen ist ausgestattet mit Navy, Freisprecheinrichtung wegen der Erreichbarkeit und vielem verschiedenen Sicherheitsklimbim. Der Mittelklassewagen von VW fährt mit Diesel (und ist von VW abgasmanipuliert), hat 140 PS und darf laut Firmenleitung nicht mehr Kilometer auf dem Tacho haben als 200.000… – dann gibt es nämlich einen Neuen! Während der ersten Tagesphase wird Wolfgang fünf Kunden anfahren und mit ca. drei bis fünf Kunden telefonieren. Außerdem muss er noch mit mehreren Lieferanten technische Probleme absprechen, Besuchs- und Vorführtermine vereinbaren und – ach ja, auch mal Pause machen. Zur Brotzeit hält er vor einer Metzgerei, lässt sich ein Paar Wienerl (das mit den Schweinen, Knochenmehl und Füllstoffen hatten wir schon – heutzutage verwendet kaum noch ein Metzger Schafsdärme für die Wienerleproduktion, weil 15ct pro Paar; da ist „lebensmittelechter Kunststoff“ bei weitem günstiger und verarbeitungseffizienter!) heiß machen und verdrückt diese rasant, während er auf seinem tablet noch einige weitere Mails verschickt. Sukzessive geht es für Wolfgang Richtung Mittagspause, während Werkstätten, Spielhallen (schießen schon seit Jahren wie Pilze aus dem Boden, um Außendienstmitarbeiter, Geschäftsleute und ganz arme Teufel zu fangen, die entweder in Existenznot sind oder ganz einfach einen Ersatz suchen für das verpasste Leben oder eine Art Jagd auf „Irgendetwas“ initiieren wollen… – egal!) an seinen Augen vorbeigleiten. Ganz nebenbei befindet sich Wolfgang im Straßenverkehr noch in ständiger Lebensgefahr wegen dem schier unerträglichem Lärm und Verkehrsaufkommen auf Deutschlands Straßen. Im CD-Player läuft Klassik, um sich abzulenken und den Lärm der Düsenjäger zu übertrumpfen, die über die Landschaft donnern – endlich Mittagspause!

Der Tag läuft einigermaßen erfolgreich und die Wahl der Mittagspause fällt auf einen Asiaten. Hier schmeckt es Wolfgang sehr gut, was wohl an der Verwendung des Glutamats liegt, dass die chinesischen, vietnamesischen und thailändischen Restaurants ins Essen kippen. Heute fällt Wolfgang eine Familie mit vier Personen auf, die allesamt übergewichtig sind. Die Frau und der Mann haben jeweils um die drei Zentner und die Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren etwa 75 Kilo… Auffällig an dieser Familie ist, dass auf dem Tisch bereits zwei Stapel mit um die 10 Teller pro Stapel stehen. Die Kinder der Familie holen immer Nachschub und die Eltern stehen schon gar nicht mehr auf. Entweder weil es zu anstrengend ist, oder, weil sie es wohl gar nicht mehr können. Was die Kinder dann mitbringen, ist dann wohl auch egal – denn es ist ja „All You can eat… für 7,90 pro Erwachsenen und 5,90 pro Kind“ ausgeschrieben – und da ist es ja völlig wurst, was da auf den Tellern liegt! Angewidert schaut Wolfgang zu einem anderen Fenster hinaus und träumt von seinen Träumen, die er einmal hatte, als er noch jugendlich und voller Tatendrang war. Damals trampte er durch England und Irland, mit einem Tramperrucksack auf dem Rücken und wollte unbedingt auswandern. Irland gefiel ihm am besten und er wanderte mehr, als dass er von Autos mitgenommen wurde. Er schlief am Meer inmitten der Steinkreise auf den Klippen über der Brandung, ernährte sich von Herzmuscheln, die er mit seinem Bunsenbrenner im Campingtöpfen und -pfannen fertig briet und sammelte getrockneten Schafsdung, der ihm als Brennstoff diente…

Nach Bezahlen der Rechnung holt ihn aber die Realität schnell ein, denn ein Kunde rief an, der ein Riesenproblem mit einer von seiner Firma gelieferten Hebebühne hatte. Auf der defekten Bühne war ein Transporter aufgehoben, der sich nun nicht mehr absenken ließ und somit war die Hebebühne des Werkstattinhabers und das Fahrzeug des Kunden blockiert. Natürlich, wie so häufig, schimpfte der Kunde mit Wolfgang und verfluchte seine Firma und Wolfgang verfluchte gleichzeitig den Hersteller und versprach schnelle Abhilfe, wohl wissend, dass der Monteur besagten Herstellers mit Sicherheit drei Tage bräuchte, um überhaupt aufzuschlagen… Ja, das war Wolfgangs Arbeitsalltag… – und als die Situation am stressigsten war, rief eines seiner Kinder an, um ihm mitzuteilen, dass es Bauchweh hatte und nicht mehr am Sportunterricht teilnehmen konnte, mit den Worten „Papa, es tut so weh – hol‘ mich bitte ab!“ Als Vater musste er sofort reagieren und machte sich auf den Weg zur Schule der Tochter – insgesamt 45 Kilometer entfernt vom Ort des Kunden – ca. 30-45 Minuten Fahrtzeit. Zwischendurch einen „Coffe-to-go“ im Plastikbecher mit einem Stück Marmorkuchen auf dem Beifahrersitz (backtriebmittelversetzt, versteht sich). Zum Glück hatte sich Wolfgang das Rauchen abgewöhnt… – doch jetzt wäre eine Kippe nicht das Schlechteste – schon ruft ihn seine Frau an, er solle doch das Eine oder Andere auf dem Heimweg noch mitbringen… Wolfgang liefert die 11jährige Tochter zu Hause ab, muss dann gleich weiter… – der Tourenplan war komplett durcheinander! Seine Frau würde eh‘ in der nächsten Stunde nach Hause kommen; ihre Schicht war zu Ende. Übrigens geht es der Tochter schon wieder besser – ein Lichtblick!

Nach weiteren vier Werkstätten und einer Neukundenakquise, die nichts einbrachte, macht sich Wolfgang auf den Weg zur Firma. Als er ankommt unterbreitet ihm die Frau des Chefs, ob er sich denn Gedanken zur heutigen Schulung gemacht hätte – es geht um Korrosion an Fahrzeugen und Hohlraumkonservierung. Das jedoch hatte Wolfgang total verschwitzt und gar nicht in den Kalender seines I-Phone eingetragen… Die Schulung würde um 17.30 Uhr beginnen und…; jetzt dürfte sich er selbst aber bloß nichts anmerken lassen… Nach dem Gespräch mit dem Chef über das Desaster mit der Bühne bei Kunde X, der im Übrigen mit „Nichtkaufen“ droht, wenn nicht innerhalb der nächsten zwei Tage Abhilfe geschaffen würde, gibt es vor Beginn der Schulung noch Schnitzel mit Kartoffelsalat. Diesmal zur Abwechslung von einem regionalen Metzger mit sicherer Schweineherkunft, was das auch immer heißen soll. Der Kartoffelsalat ist laut Beschreibung auf dem Eimer „garantiert schwefelfrei“ und „ohne Konservierungsmittel“ und mit lätscherter Gurke angereichert… – nicht unbedingt Jedermanns Sache. Doch Wolfgang hat Hunger, ebenso wie seine Innendienstkollegen, und haut dat Zeuch wech – mit Spezi dazu!

Als die Schulung vorbei ist – das Thema hatte Wolfgang jetzt schon zum dritten Mal in fünf Jahren – aber es gab ja einige Innovationen und diesmal war es auch ein anderer Hersteller… (auf dem Markt befinden sich insgesamt mehr als fünfzig Anbieter von so ziemlich gleich gearteten Produkten), kann sich der erfolgreiche Außendienstmitarbeiter auf den Weg nach Hause machen – wieder 30 Kilometer, mitten im Oktober, es ist dunkel. Die grellen Lichter der entgegen kommenden Fahrzeuge blenden mehr als sonst – Wolfgang ist müde…, sehr müde! Als er zu Hause ankommt, schlafen die Kinder bereits. Seine Frau liegt auf dem Sofa und schaut eine Tatort-Wiederholung. Sie macht einen relativ glücklichen Eindruck. „Im Ofen ist noch eine Pizza – die haben wir uns schnell aus der Kühle geholt und gebacken!“…

Wolfgang sitzt im Esszimmer und schaut auf seine Pizza. Bevor er in sein Arbeitszimmer geht und noch ein paar Mails checkt, denkt er noch über die letzte Reportage über Fertigpizzen nach, die er sich kürzlich anschaute. Da ging es darum, dass die Pizza-Industrie in fester deutscher Hand war, und, dass die Zulieferer von Salami immer weiter im Preis gedrückt würden, was wiederum starke Auswirkungen auf die Zucht der Schweine und Rinder hätte und…und…und – dann dachte Wolfgang aber auch darüber nach, dass die Senioren in den Altersheimen Essen bekämen, dass von Catering-Unternehmen hergestellt würde, die mit der Disposition der Zutaten solange warten würden, bis die georderten Produkte am Rande der Haltbarkeit stünden – dann könnte man bei der Beschaffung noch einen Riesenprofit machen!!!!!!

So gesehen und im Vergleich zu anderen Ländern und Kontinenten ging es Wolfgang und seiner Familie ja noch richtig gut und schließlich hatte ja seine Mutter recht, wenn sie immer wieder behauptete, dass „ein Einzelner ja sowieso nichts ändern könnte…“ – Guten Appetit und Gute Nacht Wolfgang – es wird schon werden…

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