Das hätte sich Heinrich Nestle, der Gründer eines der größten Nahrungsmittelkonzerne der Welt, wohl nicht gedacht, dass seine Firma einmal mit einer Anklage von Begünstigung von Menschenhandel und Kinderarbeit konfrontiert sein würde.
Wir stehen hier vor dem Gerichtssaal des Oberlandesgericht Hamburg und verfolgen gespannt den Ablauf des hier anhängigen Prozesses. Es geht darum, ob die Firma Nestle, trotz Ankündigungen und Versprechungen zur Änderung der Lebensverhältnisse in den kooperierenden Rohstoffländern für die Kakaogewinnung, etwas von den Tatbeständen des Menschenhandels und der grassierenden Kinderarbeit wusste oder nicht. Angeklagt ist der derzeitige Vorstand des Unternehmens, der durch einen Repräsentanten des Hauses vertreten wird.
Hier Auszüge aus dem Prozess:
Gericht: Angeklagter, spätestens seit 2010, als die ersten Presserecherchen verschiedener Nachrichtenagenturen auf die Missstände in der Elfenbeinküste und in Brasilien aufgedeckt wurden, wussten sie von dem illegalen Tatbestand des Kinderhandels im Zusammenhang mit Kinderarbeit in ihren afrikanischen Bezugsländern von dem Rohstoff Kakao. Auch die unhaltbaren Arbeitsbedingungen in Zusammenhang mit Kinderarbeit in Brasilien waren ihnen bekannt. Ihr damaliger Vorstandsvorsitzender teilte damals in einer Stellungnahme ihres Unternehmens mit, dass die Vorgänge in den entsprechenden Bezugsländern geprüft würden und dass es sich das Unternehmen zur Aufgabe macht, die Lebensumstände der Arbeiter auf den Kakaoplantagen zu verbessern und Kinderarbeit zu ächten.“
Nestle-Vorstand: „Herr Richter, dazu kann ich nichts sagen. Das geschah schließlich vor meiner Zeit und lag deshalb auch nicht in meiner Verantwortung. Im Übrigen haben wir mit dem „Cocoa Plan“ Maßnahmen in Angriff genommen, um die Probleme bei den Lieferanten zu lösen.“
Zur Erklärung: 42 Prozent der weltweiten Kakaoproduktion stammen von der Elfenbeinküste. Schon lange verdächtigen Hilfsorganisationen die Schokoladenindustrie, von Sklavenhandel und Kinderarbeit in dem westafrikanischen Land zu profitieren. Jeder Deutsche isst im Durchschnitt elf Kilo Schokolade pro Jahr. Hundert Gramm kosten in der Regel weniger als einen Euro. Dass die Bauern in Afrika für ihre Arbeit nicht fair entlohnt werden, kann sich jeder Konsument denken.
Richter: „Angeklagter, sie stehen vor Gericht als Vertreter der gesamten Schokoladengilde. Genau wie ihr Unternehmen, werden auch im Zuge der Ermittlungen die Firmen Ferrero, Ritter Sport und Mars, Lindt und Milka angeklagt. Wie kann es sein, dass seit den groß angekündigten Lieferantenzertifizierungen, deren Bedingungen für eine Belieferung sie klar formulierten mit Unterlassung von Menschenhandel und Kinderarbeit, die Beteiligung von Kindern an der Pflege und Ernte der Kakaobohnen-Plantagen, förmlich explodierte und sich nahezu verdreifachte…?“
Nestle-Vorstand: „Soviel ich weiß, haben wir zur Unterstützung der Kakaobauern klare Richtlinien herausgegeben. Wir haben vor Ort Prüfer und arbeiten intensiv mit den Behörden zusammen. Ich kann natürlich nicht sagen, wie unsere Subunternehmer, die wir zur Warenbeschaffung weltweit beauftragen, mit den Bauern vor Ort umgehen. Das entzieht sich meiner Kenntnis.“
Richter: „Angeklagter, ich muss ihnen nach eingehenden Recherchen und Sichtung der Fakten leider unterstellen, dass ihr komplettes Rohstoffbezugssystem auf Verschleierung ausgelegt ist. Durch die Installation von Zwischenhändlern umgehen sie die Beaufsichtigung der produzierenden Großgrundbesitzer. Diese dringend notwendige Beaufsichtigung wird von skrupellosen Geschäftemachern somit ausgehebelt – und das alles mit ihrem Wissen und Zutun.“
Nestle-Vorstand: „Das ist eine übliche Vorgehensweise, weil wir als Einzelunternehmen gar nicht in der Lage sind, die komplexen Zusammenhänge der Lieferkette genau zu bestimmen.“
Richter: „Wie können sie dann vor fünf Jahren vor die Presse treten und werbeeffektive Botschaften in die Welt hinaustragen, die sie als Großaufseher der Kakaoindustrie darstellen. Das ist doch eine Verdrehung der Tatsachen und schlicht die Unwahrheit…“
Nestle-Vorstand: „Das ist eine Unterstellung. Ich muss klar feststellen, dass sie in der Thematik befangen sind. Ich werde gegebenenfalls Klage gegen die Gerichtsbarkeit einlegen… Im Übrigen berücksichtigen sie in der Angelegenheit nicht das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wir stehen hier schließlich im Wettbewerb und da liegt eben der Vorteil im Einkauf. Das ist bei der Kakaobeschaffung für Schokolade nicht anders wie beim Kaffee, Baumwolle, Ananas und vielem mehr…“
Meine Damen und Herren, Sie sehen, dieser fiktive Prozess läuft darauf hinaus, dass Formfehler, Befangenheit und Verschleierung angewandt werden, um von den wahren Missständen in den Beschaffungsländern abzulenken. Der Einsatz von Kinderarbeit ist ein klarer Wettbewerbsvorteil und wird naturgemäß von unserer gewissenlosen Industrie billigend, ja fördernd, in Kauf genommen. Dass in der Kakaoindustrie noch der Tatbestand des Menschenhandels und der Kindesentführung aus Familien hinzukommt, ist grausam und abstoßend. Die notleidenden Familien, etwa in Mali, werden mit Einmal-Beträgen von 2 – 300 Euro abgefunden (für ein Kind, versteht sich), damit wir unsere Tafel Schokolade jederzeit unter einem Euro bekommen…
Das sind genau die Themen, die Franziskus in seiner Enzyklika anspricht. Die Macht, etwas zu verändern, liegt nur im Konsumverzicht oder im bewussten Konsum. Es ist schlichtweg paradox, dass wir die Geburt und die Liebe Jesu mit Millionen von Schokoladen-Nikoläusen feiern, die von Kindern bei 40 Grad im Schatten geerntet wurden, nachdem sie zuvor ihren Familien entrissen wurden. Auch die Kakao-Problematik stellt demnach einen weiteren Baustein für die Massenflucht aus Afrika dar, die wir derzeit erleben – doch das ist wieder ein anderes, trauriges Thema unserer Zeit! Und trotz allem – die Verflechtungen von Ursache und Wirkung sind nur allzu deutlich…
Zum Abschluss noch der Vorschlag für das Strafmaß:
Wir alle verurteilen die Vorstände der weltweiten Schokoladenindustrie, die eine Mitschuld an Kinderarbeit und Kindesentführung haben, zu einem Jahr Erntearbeit auf den Kakaoplantagen!
Ich fordere alle Konsumenten auf, ab heute auf herkömmliche Schokolade zu verzichten und für Fair-Trade-Produkte das Doppelte auszugeben – denn das ist die wahre Süße des Lebens!
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