(Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und genau deshalb wird in Zukunft Tochter Antonia unter dem Kürzel AB auf dieser HP publizieren… Viel Vergnügen!)
Der 95te Geburtstag
Schon als ich in der Früh aufwache und meine Augen nicht aufbekomme, weil sie so verklebt sind, merke ich: Der Tag wird scheiße.
Ich schlafe direkt wieder ein und wache ein paar Minuten später erneut auf, nur um festzustellen, dass der Tag scheiße wird.
Mein Körper fühlt sich an wie gerädert und obwohl ich mich nicht bewege erahne ich einen Muskelkater im rechten Schulterblatt. Kommt bestimmt vom Zähneputzen. Da war ich gestern Abend wohl etwas übereifrig.
In Zeitlupe versuche ich eines meiner Augen zu öffnen, welches sich erst nach einer viel zu großen Anstrengung öffnen lässt.
Schlaftrunken sehe ich mich um und entdecke meinen Vater, der übermotiviert, mit so einem breiten Grinsen wie das der Grinsekatze aus Alice im Wunderland und einer Tasse Kaffee in der Hand, die er mir stolz vors Gesicht hält, im Türrahmen steht.
Eine gemeine Taktik, um mich aus dem Bett zu locken. Eigentlich will ich liegen bleiben und einfach eiskalt vor seinen Augen wieder demonstrativ wegpennen, aber die Tasse zieht mich wie magisch an und ehe Ichs mich versehe, greift mein Arm nach dem viel zu gut riechenden Heißgetränk.
Na gut, Heißgetränk ist gelogen, der Kaffee ist nämlich allerhöchstens lauwarm und Zucker fehlt auch, aber es ist nun mal Kaffee.
Im Nebenzimmer schnarcht mein Bruder lautstark, der wurde von Papa noch verschont. Frechheit, rotz frech finde ich das sogar.
Wie in Trance wuchte ich erst das eine und unter der größtmöglichen Anstrengung dann auch das andere Bein aus dem Bett und bleibe erstmal so sitzen um nicht instant wieder umzukippen.
Irgendwas war heute, ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern was…
„KINDER WIR FAHREN IN 10 MINUTEN ZUR UROMA!“
Oh shit, voll vergessen. Der 95.
Einigermaßen elegant hieve ich mich aus meinem Bett.
Den Weg zum Bad kenne ich auch blind, aber hier merke ich schon, der Tag wird Mist, denn Laufen ist heute eher nicht so drin und mit einem lauten „shit“ stolpere ich über Unmengen an Klamotten, bleibe an meinem Ladekabel hängen und lande schließlich mit dem Kopf voran in meiner Schranktür.
Keine Ahnung wie lange ich da gelegen haben muss, aber inzwischen ist mein Bruder aufgestanden und lacht mich aus.
Meine Katze miaut im Gang und meine Mutter gähnt so laut, dass buchstäblich sämtliche Fenster des Hauses wackeln.
Zeit für Frühstück hab ich keine.
Jeder der meine Familie kennt, weiß, dass wir aus Prinzip immer zu spät kommen und heute ist das natürlich auch nicht anders.
Ein Blick auf die Uhr verbietet mir, meinen Bruder zu verkloppen, also sprinte ich wie ein Zombie ins Bad, klatsche mir kaltes Wasser ins Gesicht und streife mir die erstbesten Klamotten über, um ein halbwegs akzeptables BeReal zu posten mit meiner Zahnbürste in der Fresse.
Zwei Minuten später finde ich mich mit viel zu viel Koffein im Blut, Zahnpasta Resten in meinen Mundwinkeln, einem Spuckefleck auf meinem Pullover und vollkommen bedeckt mit gefühlt dem gesamten Fell meiner Katze der letzten 6 Jahre im Auto wieder.
Der Kaffee und die Kopfschmerzen ergeben eine derart grausige Mischung, dass ich einen Würgereiz unterdrücken muss.
Es ziehen Rewe, Edeka und diverse Nettos an uns im Morgengrauen vorbei.
Ich schwelge in Erinnerung an Sammelbildchen von Manuel Neuer und Chew Bacca, werde allerdings von meinem Vater unterbrochen, der gerade seine neue CD einer spanischen Jazz Band auf der höchst möglichen Lautstärke in unsere Schädel ballert.
Ich weiß nicht, wie lang die Fahrt dauert, aber für meinen Geschmack definitiv zu lange.
Wie genau wir eigentlich beim Seniorenheim landen, weiß ich nicht mehr genau, das Koffein scheint meine Aufnahmefähigkeit vollends wegzuätzen.
Mit meiner Familie im Schlepptau und sämtlichen Testergebnissen in der Hand betrete ich das Heim und steuere gleich einen älteren Herren mit Schnurbart an, der hinter einem Tresen in der Eingangshalle sitzt.
„Hallo.“ Flötet er und ich merke abermals, der Tag ist Mist. Warum ist der denn so scheiß fröhlich?
Erst jetzt sehe ich den Mann genauer an. Der könnte hier selber Patient sein. Ich sehe ihm in die Augen und weiß nicht, welches davon ich denn fixieren soll.
Eines sieht mich durchdringend an, das andere hüpft freudig auf und ab.
Mir wird schwindlig.
„Adelheid Greger. Wir kommen wegen dem Geburtstag.“
„Ja, Moment“, er lächelt mich schielend an, ich weiß nicht genau, was ich da jetzt noch sagen soll.
Ich überlege mir, ob man theoretisch die Beliebtheit einer Person daran bestimmen kann, wie viele WLAN-Verbindungen derjenige auf seinem Smartphone hat. Klingt für mich nach einer guten Idee und ich überlege, ein Patent anzumelden.
Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Hier cruisen vereinzelt ein paar Leute mit Rollator umher, einer hat gerade das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Spiel auf den Boden geschmissen und einer, der daneben sitzt lacht den Anderen aus. Ein Rollatorfahrer weicht den Spielfiguren gekonnt aus.
Ich grinse.
Eine ältere Dame starrt so vor sich hin. Eine neben ihr liest die BILD.
Oh nein, nicht die BILD…
Hier drin riecht es irgendwie nach Tod und einer Spur Desinfektionsmittel.
Mir wird schlecht.
Der nette, schielende Pförtner ist nicht nur gruselig, sondern auch gänzlich unfähig. Er sucht seine Liste nun schon zum 3. Mal ab. Er fragt, in welchem Stock Uroma wohnt, ich sage der 4.
Ich bin genervt.
Mein Bruder tippt mich an und zeigt auf ein Schild, das auf dem Tresen steht.
Theresa Schmidt.
Wir sehen uns verwirrt an. Irgendjemand lügt hier doch.
Ich versuche meine Oma zu erreichen, die mit meinem Cousin und meiner Tante nachkommen wollte, doch nur die Mailbox. Ich verliere langsam die Geduld.
„G-R-E-G-E-R“ Buchstabiere ich Theresa nun mit gehobener Stimme und sehe ihm eindringlich auf die Nase, die Augen drehen sich immer noch.
„Achso mit G“, sagt er und lacht etwas hysterisch.
Ich sehe ihn ungläubig an.
„Ja und Adelheid mit A.“
Er lacht nur, das hat er jetzt leider nicht verstanden.
Endlich findet er den Namen und zeigt mir stolz die Liste.
„Mensch super“, sage ich sarkastisch und gebe ihm einen Daumen nach oben. „Können wir jetzt hoch?“
„Ja natürlich!“, sagt Theresa und lächelt mich an. Ich bedanke mich und ziehe meine Familie schnell in Richtung Aufzüge.
Der Personenaufzug ist gerade so groß, dass ein Rollstuhl reinpasst, zu viert ist es demnach etwas eng. Ich hänge in der Achsel meines Bruders. Ich könnte weinen.
Im 4. Stock brüllt uns erstmal die Ansage-Frau an, wir wären im 4. Stock und als sich der Aufzug öffnet, brettert mir ein Rollstuhlfahrer in die Kniescheibe. Ich lächle nur und winke ab …
Uroma sitzt vor ihrem Zimmer in einem Rollstuhl. Das ist neu, wo ist denn der Rollator hin?
Um sie herum sitzen diverse Rentner. Eine hat sich an ein Bonbon Glas geklammert, eine löffelt gerade eine Suppe und eine dritte schreit die Bonbon Dame an, sie solle doch bitte etwas lauter sprechen.
Uroma sieht uns verwirrt an. Sie trägt einen hippen Schlafanzug mit Rüschen und fetzige Fleece-Socken.
„Na, Oma? Gehste heute noch weg?“, brülle ich sie an. Sie versteht kein Wort, lacht nur und sagt jaja
Sie scheint angestrengt herausfinden zu wollen, wer wir sind, trotzdem rollt sie uns motiviert hinterher.
Wieder zurück in der Eingangshalle versuchen wir in den Speisesaal zu kommen, der für uns reserviert ist. Die Tür ist zugesperrt.
Oma ist inzwischen auch eingetroffen und zofft sich mit Theresa, der einfach nicht weiß, was er jetzt machen soll wegen dem Speisesaal.
Uroma faselt was davon, dass sie ja so überrascht ist und wir doch kein Geld für sie ausgeben sollen.
Endlich wird der Saal aufgesperrt und Oma präsentiert uns ihre 300.000 Kalorien Torte. Mir wird abermals schlecht.
Ich hasse Familienfeiern. Mein Cousin führt eine Debatte mit sich selbst, wie unnötig gendern ist und dass man alle Menschen doch einfach nur mit „es“ bezeichnen solle, da es ja alle „einschließe“, ich will ihm eine Gabel in sein Auge rammen.
Uroma sieht sich verloren um, mustert mich unangenehm lange und fragt dann lautstark: „Wer ist denn der junge Herr?“
„Ich bin von der Putzkolonne.“, schreie ich über den Tisch. Wieder versteht sie kein Wort und sagt nur jaja
Meine Mutter reißt mit ihrer Jacke eine Vase vom Tisch, meine Tante verteilt sämtlichen Kuchen auf ihrem Oberteil und mein Vater redet mit meiner Uroma, als wäre sie ein Baby.
Ich verlasse den Raum und suche die Toilette.
Als ich diese betrete steigt mir der Geruch von Moder, Desinfektionsmittel und ein Hauch o´de Durchfall in die Nase. Ich muss würgen. Was tu ich hier?
Als ich zurückkomme, schwimmt eine Fruchtfliege in meinem Sektglas und dreht eine Runde nach der Anderen. Ich mustere sie und fühle mich in dem Moment seltsam verbunden.
Ich kippe eine Tasse Kaffee nach der Anderen in mich hinein und sogar die nette Frau aus der Küche sieht mich langsam etwas besorgt an. Ich lächle nur.
Uroma freut sich am allermeisten über den Luftballon den wir ihr mitgebracht haben. Irgendwie rührt mich das. Ich habe sie selten so glücklich gesehen.
Als sie die Katzen auf der Verpackung der Katzenzungen sieht, ist es endgültig um sie geschehen.
Da wirkt sie dann auf einmal doch wie eine richtige Person.
Ich werde wohl für immer der junge Herr von der Putzkolonne bleiben. Dafür denkt sie, dass mein Cousin 3 Jahre alt ist. Jedem das Seine.
Als meine Mutter dann endlich beschließt, wir würden jetzt fahren, fallen mir diverse Steine vom Herzen. Ich bin so hibbelig, dass ich wahrscheinlich gleich an einem Herzinfarkt zu Grunde gehe, ich habe noch nicht ein verdammtes Wort für die Uni gelernt und ich sollte dringend mal wieder schlafen.
Als wir uns von Uroma verabschieden, tut sie mir leid. Ich hoffe, dass ich nicht so werde wie sie. Das klingt schlimm, aber ich kann so nicht werden. So senil und tattrig. Ich hoffe ich sterbe bald, denn das mach ich nicht mit. Ich will kein Anhängsel sein, dass man einmal im Jahr besucht. Ich will meine Familie nicht vergessen.
Und doch liebt sie uns so sehr, auch wenn sie nicht weiß, wer wir sind. Es fällt mir schwer, das zu verstehen, aber irgendwo in dieser alten Hülle, die kaum mehr ein Mensch ist, ist sie immer noch das Kind, das uns von Bildern aus Fotoalben anlacht. Da sind diese Mundwinkel, die sich so ins Gesicht gefressen haben vom vielen Glücklichsein, da sind die Lachfalten um die Augen herum, die mir verraten, dass sie einst fröhlich war, trotz dem Tod ihres Sohnes, meines Opas, trotz dem Tod ihrer Eltern und ihrer Schwester, dem Tod ihres Mannes. Trotz Krieg und Totschlag. Trotz Hunger und Verzweiflung und trotz dem Leben, das ihr nach und nach die Persönlichkeit entzog. Irgendwo da drin ist sie noch sie und hat noch einen Krieg miterlebt. Irgendwo da drin ist sie noch sie. Das glaube ich ganz stark, denn alles andere macht mir Angst.
Auf der Fahrt nach Hause im Auto bin ich nachdenklich.
Während mir Henning May seinen Ozean ins Ohr säuselt, gleitet unser Auto ruhig durch die Dämmerung und schmiegt sich an den blutroten Himmel.
Glücklich lächle ich in mich hinein. Da hab ich den Tag wohl doch noch erfolgreich ausgetrickst.
by Antonia Bredendiek (AB)
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