DURCH DAS RASTER GEFALLEN!

Wie viel Schmerz verträgt ein Mensch? Wie viel Demütigung und Ausgrenzung würde jeder Einzelne von uns vertragen? Einige von mir befragte junge Menschen sagen mir, dass insbesondere die ruhigen, introvertierten Jugendlichen heutzutage riesige Probleme mit dem Zeitgeist, mit der Gesellschaft und daraus schließend auch mit sich selbst haben. Worauf fußt diese Entwicklung? Die neue Generation toleriert kaum noch Schwächen. Ist eine Schwäche erkannt und sichtbar, wird diese zum Teil über die sozialen Netzwerke publik gemacht und für eigene Zwecke ausgeschlachtet. Es gibt regelrechte Absprachen darüber, welches Individuum einen Schaden hat und welches nicht. Als Messlatte der Verurteilung dienen rein die Kontaktzahlen und der daraus resultierende Gruppenzwang. Denn, wer möchte schon, dass eine komplette Gruppe den Einzelnen mobbt und ausgrenzt. Das Resultat ist bei Jugendlichen wie auch Erwachsenen dasselbe. Der Betroffene zieht sich zurück. Für Jugendliche ist aber ein Rückzug fatal, gilt es doch, sich mitzuteilen, sich zu beweisen, in Wettbewerb mit anderen zu treten, seine Träume zu verwirklichen – einfach schlicht „Jemand zu sein“.

Erwachsene können sich behelfen oder gehen zum Arzt oder suchen in der Familie Rat. Sie haben genügend Möglichkeiten, sich in ihr Schneckenhaus zurück zu ziehen und ihr Leben mit verschiedenen Hilfsmöglichkeiten vielfältig zu gestalten. Als Pool der Möglichkeiten dient die angesammelte Lebenserfahrung der vergangenen Jahrzehnte. Als letztes Mittel stünde ja immer noch die Medikamentierung zur Verfügung oder eine Gesprächstherapie. Die steigenden Zahlen von psychischen Erkrankungen unterstreichen diese Entwicklung dramatisch.

Leider bekommen in Zeiten von Facebook und Whatts App, Privatfernsehen, Bild-Zeitung und Promikult, nur die Lauten Resonanz. Die Stillen, die passiven Zuhörer, die wir aber eigentlich viel dringender bräuchten, sterben aus – sie können sich nicht durchsetzen gegen den Überschwall der Oberflächlichkeit. Auch ich selbst bin ein Lauter und weiß um die Wirksamkeit von Lob und Motivation. Ich weiß, dass ein zuhörender Mensch für mich der Einzige auf der Welt ist, der mich da abholt wo ich stehe. Ein solcher Mensch nimmt mir meine Sorgen ab und baut mich auf, ohne laute Töne anzuschlagen. Die Leisen und die leisen Töne werden in unserer modernen Gesellschaft immer seltener. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist abzusehen und die Folgen spüren wir bereits heute.

Sucht bekämpft man, indem die Uhr auf Null gestellt wird. Es ist egal, ob es sich um eine stoffliche oder nicht-stoffliche Sucht handelt. Das soll heißen, dass etwa seine Alkoholsucht (stofflich) mit totaler Abstinenz sofort auf Null gestellt wird. Wer ab diesem Zeitpunkt nichts mehr trinkt, hat zumindest die Symptome des Wahnsinns vorerst abgestellt. Was darauf folgt ist eine Therapie, die sehr vielfältig sein kann. Hierbei kommt es darauf an, auf welche Therapiemaßnahmen der Suchtpatient anspricht und auf welche nicht, und vor allem, wie hoch der Grad der Sucht war.

Bei einer nicht-stofflichen Sucht wie zum Beispiel der Anerkennungssucht (bei einem Lauten), da ist es wichtig, das Leise zuzulassen, zu respektieren, zu suchen und zu fördern. Als erstes muss der Patient der Anerkennungssucht erkennen, dass er diese Sucht hat. Im Zulassen von Ruhe und für-sich-selbst-sein könnte eine Form der Therapie liegen – nur, muss bei Akzeptanz des Krankheitsbildes auch hier die Uhr auf Null gestellt werden. Denn nur ab jetzt sofort kann eine Therapie beginnen und kann eine Therapie Erfolg haben.

Was helfen uns solche Theorien bei der Alltagsbewältigung? Was hat das alles mit Ausgrenzung und Mobbing zu tun? Ob laut oder leise, ob schwarz oder weiß, ob gütig oder geizig, ob Ying oder Yang – die Dualität des Lebens ist allgegenwärtig und steckt in allen Dingen. Die Verschiedenheit der Menschen macht die Einzigartigkeit aus. Wir müssen dazu übergehen, das Stille neu zu entdecken. Der passive Zuhörer muss gefördert werden, denn er ist wichtiger für die Gesellschaft, als wir denken, als wir uns vorstellen können. Das Absaugen unserer Konzentration durch den Einsatz von Lautstärke, Macht, Unterdrückung und Ausgrenzung sollte mittels eines eigens entworfenen Rasters erkannt und enttarnt werden. Was nützt uns der Voyeurismus im Netz, die Verunglimpfung von Einzelpersonen, der Konsum von plakativen, nicht nachhaltigen Prozessen und Produkten, wenn wir doch wissen, dass beides notwendig ist – die Ruhe und die Lautstärke, das Durchsetzungsvermögen und die Gnade, der Hass und die Liebe…

Durch das bedingungslose Streben nach Erfolg und Wachstum vergisst die globale Menschheit die spirituelle und auch die künstlerische Ebene. Die Wirtschaft und das Kapital, das mittlerweile die Politik über ihr Lobbytum geknechtet hat, verhindert die Verbindung zu weit wichtigeren Themen wie z.B. die Selbstentfaltung des Einzelnen. Das Wachstum nimmt keine Rücksicht auf Träumer, Künstler und Visionäre. Nur die Zertifizierung der Prozesse zählt und der Mensch verkommt zu einer Nummer. Wir werden nur noch bewertet und klassifiziert. Und wer nicht in das Schema passt wird ausgegrenzt. Das, was uns die große Politik der Globalisierung vorlebt, geschieht auch im direkt unter uns. In den sozialen Netzwerken geht der Überlebenshype weiter… – es lebe die Ellbogengesellschaft.

Wen wundert der da noch der Amoklauf Einzelner. Egal, ob jugendliche Schüler oder abgestumpfte, illusionslose Familienväter, es kann jeden von uns erwischen. Eine Psychose, eine Depression oder eine schleichende Schizophrenie sind schnell ausgelöst und führen zur Eskalation. Die Orientierungslosigkeit der Massen nimmt zu und viele führen sich in einem solch‘ rücksichtslosen System nicht mehr beheimatet. Die Einsamkeit greift um sich. Oft fehlen genau in diesen Zeiten der Hoffnungslosigkeit die Ratgeber der Vorgängergenerationen. Die aber sitzen bereits abgeschoben und hoffentlich kostenneutral in den dafür ausgesuchten Altersheimen und werden mit zertifiziertem Massen-Einheitsfraß abgefüttert. Mit einer solchen Perspektive verwundert es kaum, dass wir Menschen, und vielleicht insbesondere wir Deutschen, es in unserem Land kaum noch aushalten oder aushalten wollen!

Denn es hört kaum noch jemand zu… – bei lauter Lärm und bei unzähligen von Lauten…

Papst Franziskus ist im Augenblick einer der Einzigen, die den Schneid haben, die Wahrheit über uns selbst offen auszusprechen… – leider wird er dafür von vielen nur belächelt…

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