Es ist die Zeit der Zusammenkünfte, der Lagerfeuer-Runden und der intensiven Gespräche unter freiem Himmel. Freundschaften werden gepflegt und interessante Menschen kennengelernt. Es ist Sommer und zum zweiten Mal in diesem Jahr wird die 40-Grad-Marke erreicht. Das ist zum einen relativ ungewöhnlich und zum anderen völlig normal; hält man sich vor Augen, was wir alles für das Voranschreiten der Erderwärmung unternehmen.
Ich sitze neben einem Bio-Bauern und Schäfer aus Leidenschaft. Er philosophiert über die Schönheit unseres Planeten. Er erklärt mir die Bedeutung der Schafe für die Kulturlandschaft. In mühevoller Kleinstarbeit stellt er die Viehwege zusammen, die er mit seiner Herde begehen kann. Er zieht von Feld zu Feld, streift Streuobstwiesen, beweidet Wacholderhänge und pfercht Abend für Abend seine Herde ein. Es hört sich idyllisch und romantisch an, wenn er über seine Tiere spricht, während der Mond beinahe voll am Firmament thront.
Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass ein Schäfer in unseren Breiten von einer Herde mit fünfzig Tieren nicht leben und auch nicht überleben kann. Aus der Milch kann er höchstens für den Eigenbedarf Käse herstellen. Für die überschüssige Milch interessiert sich aus logistischen Gründen niemand. Dasselbe passiert mit der Wolle. Es ist schlichtweg unrentabel, die Wolle abzuholen und zu verarbeiten; das rechnet sich erst ab einer Herde von 2-300 Tieren. Also wird die Wolle entsorgt. Kompostieren wäre ein Problem, da sonst die Ackerfräse zu viele Fäden fängt und verklemmt. Kurzum, die Zeit der Idylle mit den Schafen ist spätestens dann vorbei, wenn die Betriebswirtschaft zur Abrechnung ruft – und die heißt Verlust in Geld und Verlust in Zeit. Der Biobauer muss also einer harten Beschäftigung nachgehen, die ihm für ’sein Schaf-Hobby‘ des nötige Kapital bereitstellt.
Auf der anderen Seite jedoch hat es die CSU in persona Aigner geschafft, Subventionen für Bauern durchzudrücken, die mit ihrem Traktor fünf Kilometer in eine Richtung fahren und dann ferngesteuert wenden… So ganz nebenbei ist man als Politiker dann auch noch Ratgeber der Agrarindustrie und sitzt mit im Aufsichtsrat einer wichtigen Bank. Oder man bringt, wie es das Beispiel Bayern zeigt, noch seine ganze Verwandtschaft in lohnende Positionen (schimpft aber über die Korruption in Griechenland und betreibt beinahe schon Volksverhetzung!?). Die Rechnung für den Politiker geht auf, denn die Staatspensionen sind sicher, die Aufwandsentschädigung für den Aufsichtsratsposten des Börsenunternehmens übertrifft um ein Vielfaches die Diäten und für die Fachvorträge wird auch noch höher fünfstellig kassiert. Meiner Meinung nach sieht ein politisch unabhängiges Mandat anders aus.
Wen wundert es da, dass zigtausende von Demonstranten gegen die Macht des Kapitals aufstehen und einen weltweiten Kurswechsel dieser durch und durch korrupten Elite fordern.
Als Gipfel der Unverschämtheit bewirbt sich die Kanzlerin, ganz nach dem Vorbild ihres Ziehvaters Helmut Kohl, um eine vierte Amtszeit. Das heißt im Klartext vier weitere Jahre Stillstand, Aussitzen, Verschieben von dringenden Reformen und vor allem vier weitere Jahre schamloseste Kooperation mit der Industrie, tief korrupter Lobbyismus und menschen- und naturverachtende Politik in Reinkultur. Innovation wird ein Fremdwort bleiben und jeder Kompromiss ist ein fauler und mit Sicherheit niemals ein nachhaltiger… Zählt man dann 16 Jahre Merkel und 16 Jahre Kohl zusammen und zieht die ersten 18 Jahre meines Lebens, in denen ich nicht mitbestimmen durfte, ab, dann bleibt nichts weiter übrig als Ellbogengesellschaft, soziale Kälte, unternehmerische Ausbeutung, Klientelpolitik und Langeweile als Rahmenbedingung für mein bisheriges Leben…
Der Schäfer sitzt immer noch neben mir und wir erhöhen langsam aber stetig die rhetorische Schlagzahl. Unsere Unzufriedenheit nimmt konkrete Züge an und wir fordern gegenseitig ein sofortiges Umdenken in der Gesellschaft. Wir besprechen den Konsumverzicht und suchen eindringlich Wege dorthin. Wir sehen unsere eigene Ohnmacht und müssen feststellen, dass auch wir aus diesem Karussell kaum einen Ausweg finden. Denn wir müssen unsere Familien ernähren und sind gezwungen, zum Beispiel mobil zu sein. Wir sind gezwungen, Kompromisse einzugehen, um Geld zu verdienen. Aber wir sind uns in einem einig – wir sind bereits dabei einen neuen Weg einzuschlagen, und wir sind bereit, mit jedem Menschen darüber zu reden, der sich für diese Thematik offen zeigt. Er auf seine Weise, auf dem Weg mit den Schafen über die Hügelketten, und ich auf meine Weise mit dem Weg des Wortes in die Öffentlichkeit. In einem aber sind wir uns einig: Wir werden in Zukunft den Konsum von Plastikflaschen für uns selbst abschaffen; wir werden versuchen heimische Naturprodukte zu konsumieren, Biofleisch zu verarbeiten und einen ökologischen Kreislauf in unserem Leben zu installieren.
Natürlich könnten wir die große Politik nicht in großem Maße beeinflussen, doch wir können bei uns selbst einen Anfang machen. Mit der Verweigerung von nachweislich schädlichen Produkten können wir zumindest für uns selbst ein Zeichen setzen. Und so kommt ab heute jedes Produkt und jegliches Verhalten, das keiner Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit entspricht, auf den Prüfstand.
Was die politische Haltung betrifft, so würde ich derzeit keiner politischen Gilde meine Stimme übereignen. Zu groß ist die Enttäuschung über die Vorgehensweise bei der Bewältigung der globalen Probleme – zu groß ist die Unterwürfigkeit gegenüber dem Kapital und zu groß ist die Gleichgültigkeit gegenüber der Schöpfung und der sozialen Missstände auf der ganzen Welt. Ich würde sagen – niemand der angeblichen, menschlichen Elite und Obrigkeit hätte auch nur eine einzige Stimme von uns verdient, würden wir sie an den Ergebnissen ihrer Arbeit messen…!!
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