„WURZELMENSCHEN“

Als ich über zwei Jahre lang Baumwurzeln in den umliegenden Wäldern suchte, um daraus Skulpturen zu erschaffen, die nur ich erkannte, konnte ich nicht ahnen, dass mich dieses Projekt noch einmal so nachhaltig beeinflussen könnte, wie es in diesen Herbsttagen geschieht. Denn, wann bekomme ich denn eine Baumwurzel? Naturgemäß erst dann, wenn der Baum sein Leben der Natur preisgab und mir nun als „Totholz“ zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung steht… Der Tod dieses Baumes ist aber angesichts seiner weiteren Reise von der Verrottung hin bis zur endgültigen Zersetzung ein weiterer lebendiger Teil des gesamten Lebenszyklus wie von allen Geschöpfen auf der Erde. Durch mein Zutun, oder besser gesagt, der künstlichen weiteren Lebenserhaltung, konnte ich bei meinen Skulpturen, deren Gestalt womöglich nur ich erkennen kann, eine Sinnerweiterung des Individuums Baum hervorrufen, bis dann auch dieses „Totholz“ eines fernen Tages der weiteren Zersetzung zugeführt werden wird. Doch was bleibt ist die Erinnerung an die Form und Aussage, an die Intention, die jeder Betrachter wohl auf seine Weise interpretieren kann.

So ist es auch mit uns Menschen. Die die noch eine Weile auf der Welt bleiben, werden das Andenken an die verlorenen Menschen aufrecht erhalten. Jeder Mensch hat seine eigene Verwurzelung. Viele sind sehr bodenständig und wollen nicht zu viele Veränderungen. Andere hingegen ziehen häufig um und suchen neue Orte, Wirkungsstätten und Herausforderungen. Die Wurzeln selbst jedoch liegen nicht im sächlichen, sondern im rein emotionalen Bereich. Sie liegen im Selbst und in der Selbstfindung. Denn der wahre Sinn des Lebens ist die Ausprägung der Wurzeln und die Suche nach der wahren Berufung für jeden von uns. Das ist die eine große Aufgabe, die uns alle miteinander gleich macht. Wie kein anderer Philosoph und Prophet zuvor hatte es Jesus selbst verstanden, den Menschen diesen Sinn des Lebens als primäres Ziel und Lebensaufgabe zu suggerieren. Mit treffenden Gleichnissen, huldvollen Verpflichtungen und Anleitungen zur Verzückung, schaffte er einen Raum der Ruhe und Gelassenheit in sich und uns Selbst, um für Harmonie und Frieden in der Welt einzutreten. Und ob er Gottes Sohn und der wahre Messias ist, das ist keine Frage oder Erkenntnis, und es ist banal und dekadent, darüber zu befinden, ob das nun die Wahrheit war oder nicht. Es sind die sehr klar formulierten Erfahrungen und Lebensempfehlungen, die einen dazu bewegen, sich mit seinem Selbst auseinander zu setzen, um sein wahres Ich, seine Bestimmung und sein eigenes Selbst zu finden – die sogenannte Mitte in uns.

Nur in unserer Mitte können wir ruhen und ausruhen. Natürlich sieht diese Mitte in uns bei jedem Menschen anders aus. Doch kreierte der Herr in seinen praktischen Lebensanleitungen einen Leitfaden zur Erreichung desselben. Und auf diesem Weg zu unserer Mitte ist kein Platz für die Verführungen des Teufels und auch kein Platz für eine Entscheidung zum Schlechten hin. Denn wer sich für die Dunkle Seite des Lebens, Handelns und Denkens entscheidet, hat seine Mitte wohl nie gesehen oder versucht sie zu erreichen – oder weiß wahrscheinlich gar nichts davon.

Seine Heimat zu verlassen oder verlassen zu müssen, heißt, einen Teil seiner Wurzeln zu verlieren, aufzugeben. Obwohl man es nicht möchte, müssen wir uns in der Situation der Not, des nackten Überlebenskampfes, mit der Tatsache abfinden, dass die räumliche Geborgenheit für eine gewisse Zeit verloren geht. Wenn ich dann auf dieser Flucht noch weiter getreten, bespuckt und ausgegrenzt werde, dann sind auch meine mentalen Wurzeln in großer Gefahr und es droht das totale Trauma. Das, was wir nun, und wohl in der weiteren Zukunft auch, auf der ganzen Welt erleben, ist ein Entwurzelungsprozess sondergleichen – wir sind aufgefordert, unsere eigenen Wurzeln zu verstehen, zurück zu erkennen und in unser ureigenes Selbst hinein zu hören, um die Situation, in der sich die Menschen auf der Flucht befinden, zu verstehen, um dann die notwendigen Erkenntnisse daraus ziehen und entsprechend unserem christlichen Auftrag zu handeln. Jesus Christus, unser Glaubensmentor und oberster Philosoph, hat uns dafür eine klare Anweisung und Anleitung gegeben – das Neue Testament!

Die Wurzel allen Übels liegt in der Glorifizierung der falschen Tugenden in unserem heutigen Zeitgeist, liegt in den Verführungen der Menschen untereinander. Der Werteverfall hat durch die überzogenen Konsumorientierung nahezu den Höchststand erreicht, so dass die Schere zwischen Arm und Reich auf der vollen Skala aufklafft. Es helfen eher die Armen die Armen, als dass ein Reicher sein Herz nur einen Spalt öffnet – und da fällt mir sogleich das Gleichnis von dem Kamel und dem Nadelöhr ein: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher zu meinem Vater in den Himmel aufsteigt…“

Wir leben heute in einem nicht enden wollenden Netzwerk aus Verfehlungen und Süchten, denen wir in unserem Alltag nur zu häufig unterliegen. Das Bearbeiten einer Wurzel verdeutlicht mir, wie wunderbar und einzigartig die Schöpfung funktioniert. Das Wurzelwerk mit der wasser- und nahrungsfördernden Hauptwurzel, der volumige Stammansatz, die Zeichnung der Rinde, die durch Umwelteinflüsse hervorgerufenen Wunden und Narben, und die für jeden Baum spezifische Jahresringanzahl, verraten mir über dieses Wunderwerk Details aus dessen Leben. Warum wohl halten sich Kinder so gerne im Wald auf oder sammeln Steine – Kinder sammeln im Wald und am Flussufer Äste und Steine und sind glücklicher und zufriedener als in jeder Einkaufszone dieser Welt. Das Glänzen der Augen, das totale Aufgehen in der jeweiligen Spielsituation ist in einer Weise vorbildlich, dass es mir immer wieder aufs Neue die Bilder meiner Kindheit ins Bewusstsein zurückholt und mich schwelgen lässt in Nostalgie, Glück und Zufriedenheit einstiger Tage.

Ich mache mich nun auf den Weg und suche mir nach Jahren wieder eine neue Wurzel zur Bearbeitung, um daraus ein neue Aussage zu erschaffen, deren Sinn und Inhalt ich aber heute noch nicht kenne und bei jedem Einzelnen, der sie betrachtet, auch ein anderer ist und sein wird – das ist mein Ziel… Und dann brauche ich noch Steine… – viele Steine… – an der Donau liegen die Schönsten…, in allen Größen, Formen und Farben. Wenn man die Donaukiesel ins Wasser legt, erhalten Sie einen ungeahnten neuen Glanz und erzählen Dir die Geschichten dieser Welt. Sie lachen über die Jahrhunderte, die an ihnen jüngst vorüberzogen und schütteln erstaunt ihre rundlichen Leiber über die Maßlosigkeit der Menschen, die zuweilen meinen, sie wären die Herren dieser Welt…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert